TEIL 1. Laut einer OECD-Studie leidet jeder fünfte Arbeitnehmer unter psychischen Erkrankungen. Immer mehr Unternehmen suchen daher nach Ansätzen, um ihren Beschäftigten bei seelischen Belastungen, bei Stress und Überforderung beizustehen.
TEIL 2. "Ich denke, heute ist es so, dass der Erschöpfte den Gebrechlichen ersetzt," sagt Andrea Gensel. Mit Erschöpfung am Arbeitsplatz kennt sich die 48-Jährige aus. Vor zehn Jahren hat sich die gelernte Betriebspsychologin mit einer Personalberatung für Führungskräfte selbstständig gemacht. Am Anfang ging es in ihren Seminaren noch hauptsächlich um arbeitstechnische Fragen: "Wie komme ich in Verkaufsgesprächen überzeugend rüber, wie löse ich Konflikte mit Mitarbeitern?" Im Laufe der Zeit aber hat sich das geändert: "Und wir haben schon vor fünf Jahren ganz deutlich in meinem Unternehmen bemerkt, dass immer wieder Fragen in dem Bereich der psychischen Störungen auftauchten, dass das Coaching kein technisches Coaching unbedingt mehr war, also wie gestalte ich meine Arbeitszeit optimaler, sondern das waren immer mehr psychologische Themen."
TEIL 3. Als sich Krankheitsbilder wie Burn-out und Depression häuften und viele ihrer Kunden mit dem Wunsch nach einer psychologischen Einzelberatung zu ihr kamen, erkannte Andrea Gensel die Marktlücke und reagierte. 2009 gründete sie das Unternehmen CarpeDiem24. Sein Angebot nennt sich externe Mitarbeiterberatung. Das Prinzip: Ein Arbeitgeber schließt einen Vertrag mit CarpeDiem24 und zahlt eine monatliche Pauschale. Im Gegenzug können alle seine Angestellten eine Hotline wählen und sich von geschultem Fachpersonal am Telefon psychologisch beraten lassen. Bis zu vierundzwanzig Stunden am Tag, kostenlos und anonym. Egal, wo der Schuh drückt: ob beruflich oder privat. Jeder, der die Hotline wählt, landet erst einmal hier. Da der Service komplett anonym ist, muss der Anrufer bis auf den Namen seines Arbeitgebers keine Angaben machen. Dann wird er zum persönlichen Gespräch an einen der Berater durchgestellt. Für viele, die anrufen, geht es erst einmal darum, sich über ihr Problem selbst klar zu werden. Vertrauen ist das wichtigste Kapital von Andrea Gensel. Und darum wirbt sie. Bei jedem neuen Kunden spricht sie auf der Betriebsversammlung vor allen Mitarbeitern. "Das ist ganz wichtig. Weil so sieht die gesamte Belegschaft ein Gesicht dazu. Die sehen, dass wir bodenständig sind.“ Zum Vertrauen gehört aber auch, dass nichts von den Gesprächen nach außen dringt. Stichwort Datenschutz. Deshalb unterliegen nicht nur alle Berater der Schweigepflicht; auch wer als Journalist über CarpeDiem24 berichtet, muss schriftlich seine Verschwiegenheit versichern. Für die Arbeitgeber gibt es zweimal im Jahr eine Auswertung mit viel statistischem Material. Darin steht dann beispielsweise, wie häufig die Mitarbeiter insgesamt angerufen haben und mit welchen Themen. Rückschlüsse auf konkrete Personen ergeben sich daraus nicht.
TEIL 4. Im Schnitt sind es um die zehn Prozent der Mitarbeiter in einem Unternehmen, die das Angebot von CarpeDiem24 nutzen. Die meisten wegen privater Probleme: Krach in der Ehe, ein plötzlicher Krankheitsfall in der Familie oder Schuldenprobleme - oft sind es ganz konkrete Dinge, von denen sich Menschen überfordert fühlen. Der Anteil der Anrufer mit psychischen Störungen liegt bei insgesamt zwanzig Prozent. Tendenz steigend. "Wir beraten zu Depression, Zwänge, Ängste, psychische Störungen, Suchtprobleme, alles, was das Leben zeigt.“. Doch gerade wenn ein psychisches Störungsbild vorliegt, kommt es vor, dass die telefonische Beratung an ihre Grenzen stößt. Dann hilft nur noch eine Therapie: "Manchmal reichen drei bis fünf Gespräche, um den Menschen wieder stabilisieren zu können und wenn es nicht reicht, das sind zwanzig Prozent der Gespräche, wo wir dann sagen, hier vermitteln wir weiter an niedergelassene psychologische Psychotherapeuten."
TEIL 5. Zu den Kunden von CarpeDiem24 zählt seit Kurzem auch der Schlüsselhersteller Assa Abloy. Das mittelständische Unternehmen mit Sitz in Berlin hat rund vierhundertdreißig Beschäftigte. Für sie nimmt vor allem die Arbeitsdichte immer mehr zu, stellt Personalleiter Alexander Vath fest: "Das merken mit Sicherheit viele Mitarbeiter, dass die Arbeit heutzutage trotz der technischen Verbesserungen, E-Mail etc., nicht einfacher geworden ist, sondern wahrscheinlich schwieriger geworden ist. Die Zeit ist die gleiche, aber es spielt sich einfach viel, viel mehr ab in der gleichen Zeit als früher und das ist das Problem." Für Vath sind deshalb die Unternehmen in der Pflicht, sich mehr um die seelische Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu kümmern.
TEIL 6. Anders als in den Vereinigten Staaten gibt es hierzulande noch keine verlässlichen Studien über die Auswirkungen der externen Mitarbeiterberatung. Sichtbar jedoch ist der Erfolg bei den Kunden: 25 Unternehmen mit insgesamt rund 25.000 Beschäftigten betreut Carpe Diem 24 derzeit an seinen Standorten in Lübeck und Hamburg. Der Preis pro Mitarbeiter liegt zwischen 1,10 Euro und 5,80 pro Monat. Je nachdem wie groß ein Unternehmen ist und ob es den Service für den ganzen Tag oder nur für ein paar Stunden bucht.
Kritik an diesem Modell kommt von den Gewerkschaften. Zwar sei die externe Beratung am Telefon durchaus ein sinnvolles Angebot, sagen auch sie. Allerdings nur als ergänzende Maßnahme. Denn die eigentlichen Ursachen von Stress und psychischer Überforderung am Arbeitsplatz beseitige sie nicht. Für Hanns Pauli, Gesundheitsexperte beim Deutschen Gewerkschaftsbund, hilft da nur eins: bessere Arbeitsbedingungen in den Betrieben und die genaue Einhaltung von arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften. Eine externe Unterstützungsstruktur sei für die Beschäftigten auf jeden Fall sinnvoll. Aber das ändere nichts daran, dass letztendlich intern auch etwas getan werden muss und dass vor allen Dingen das Thema auch der Gefährdungsbeurteilung maßnahmenorientiert weitergetrieben werde und die Beschäftigten auch gefragt würden, was sich an ihren Arbeitsbedingungen ändern sollte."
Quelle: www.dradio/ firmenporträt
LESEVERSTEHEN - STUFE B2
AUSSAGE
1. Welcher Titel passt?
- A. Das Leben rund um die Uhr genieβen
- B. CarpeDiem24 bietet anonyme Mitarbeiterberatung
- C. Arbeitsbedingungen am Anfang des 21. Jahrhunderts
Lesen Sie den Text und suchen Sie die beste Zusammenfassung zu jedem Teil (a oder b). Es gibt jeweils nur eine richtige Antwort!
2. Teil 1
- A. Die Unternehmen spielen auch eine Rolle in der Verbesserung des seelischen Zustands ihrer Angestellten
- B. Viele Unternehmen führen zurzeit Untersuchungen, um herauszufinden, weshalb ihre Angestellten seelisch krank werden
3. Teil 2
- A. Nach einer schweren psychischen Krise entschied Andrea Gensel, Coach zu werden und eine eigene Beratungsfirma zu gründen
- B. Andrea Gensel wollte mit ihrer Beratungsfirma Managern bei der Optimierung ihrer Arbeit helfen, sie musste sich aber dann in der Praxis immer mehr mit psychologischen Störungen beschäftigen
4. Teil 3
- A. Sie hat dann CarpeDiem24 gegründet, einen psychosozialen Beratungsservice, den Unternehmen benutzen, um die seelischen Probleme ihrer Mitarbeiter zu bekämpfen
- B. Sie hat dann CarpeDiem24 gegründet, eine psychologische Praxis, die sich mit psychischen Störungen privater Personen beschäftigt
5. Teil 4
- A. Bei CarpeDiem24 werden dann alle psychischen Störungen mit einer Psychotherapie behandelt
- B. Wenn den Kunden durch die telefonische Beratung nicht weiter geholfen werden kann, wird ihnen eine Therapie bei einem Psychotherapeuten empfohlen
6. Teil 5
- A. Viele Unternehmer haben bemerkt, dass ihre Angestellten wegen der Technik mehr Stress haben als früher, weil sie nicht genug darauf vorbereitet sind
- B. Wegen des technischen Fortschritts wird heute schneller und intensiver gearbeitet, was die Angestellten immer öfter unter Druck setzt
7. Teil 6
- A. Obwohl es in Deutschland noch keine Studien dazu gibt, ist der Erfolg von Firmen wie CarpeDiem24 schon zu beobachten, und die betroffenen Sektoren sind sehr zufrieden mit der Initiative, weil die Probleme so gelöst werden
- B. Beratungsfirmen wie CarpeDiem24 sind sinnvoll. Gute Arbeitsbedingungen und angemessene Gesetze sind aber wichtiger, denn viele psychische Störungen am Arbeitsplatz sind Folge eines schlechten Arbeitsklimas
Aufgabe 2. Was steht im Text? Kreuzen Sie die richtige Antwort an!
8. (Zeile 14) „... Burn-Out und Depression...“
- A. kommen immer öfter vor
- B. werden immer schlimmer
- C. sind moderne Krankheiten
9. (Zeile 39) „...viele Menschen fühlen sich überfordert“
- A. sie haben zu viel Arbeit
- B. ihr Leben ist kompliziert
- C. sie denken, sie können ihre Probleme nicht mehr meistern
10. (Zeile 54) „...sind die Unternehmen in der Pflicht...“
- A. könnten die Unternehmen...
- B. müssen die Unternehmen...
- C. möchten die Unternehmen...
LÖSUNGEN
1-B
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3-B
4-A
5-B
6-B
7-B
8-A
9-C
10-B
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